Das Zeitalter des Ruhens

Es war das Zeitalter des Ruhens, in der die leere Welt im Schlaf lag und nichts von dem sich regte, was heute über die Erde wandert, durch die Lüfte fliegt und durchs Wasser schwimmt. Allein der Wind kannte die Bewegung und besuchte alle Orte, die heute auch die Menschen kennen. In all der Ruhe und der Stille flog ein schemenhafter großer Vogel durch die Lüfte. Eine Eule, die kaum ihre Schwingen bewegen musste, um über den Ländern ihre Kreise zu ziehen. Der Wind war ihr Gefährte seit ewig und über alle Erinnerung hinaus. Der Wind selbst weiß, dass kein Zeitalter ewig währt und immer neue Zeiten kommen, denn wie seine Bewegung nie still steht, so steht auch die Zeit nie still.

Leise spielt er sein Lied über den Klippen an den Küsten der Länder, ein leises Pfeifen an den schroffen Abhängen der Berge – er war in dieser Zeit immer der einzige gewesen, der die Stille durchbrach. Die Eule sah gern die Bewegungen und hörte gern sein Spiel, ließ sich immer gerne mittreiben und doch wohnte ein Funke in ihr, der die Welten verändern konnte und der hinaus in diese Welt gehen würde.
So geschah es, dass sich im Wechsel von Tag und Nacht die Eule zur Erde hinab ließ. Ihre Klauen bohrten sich in den weichen fruchtbaren Boden, der darauf zu warten schien, den Funken zu erhalten.

Das Zeitalter des Erwachens

Dies war das Anbeginn des Zeitalters des Erwachens, denn so die Klauen der Eule, der Weberin aller Schicksale sich in die Erde bohrten, so wurde der große heilige Baum geboren und streckte sich dem Himmel an der Stelle empor, da der Funken des Lebens in die Welt eintauchte. Die Eule saß hoch oben in der Krone und blickte nach unten, sie genoss was geschah und liebte das Gefühl, wie sich die mächtigen Wurzeln unter der Erde in Lebendigkeit ausbreiteten. Es vergingen die Jahre und wieder war nur der Wind der einzige Zeuge dessen, was die Weberin vollbrachte.


Der Baum hatte viele Abkömmlinge, die ringsum um ihn zu stehen kamen – andere Bäume, Sträucher, Blumen und Grashalme. Viele Farben durchzogen das Land, als die Zeit des Erwachens angebrochen, die Farben des Lebens im Pflanzenreich.


Als die Länder in ihrer Schönheit von Pflanzen überdeckt da waren, war die Weberin noch nicht zufrieden, sie wollte etwas, das sich bewegt, wie sich auch der Wind bewegt. So begann sich das Leben weiter auszubreiten, denn in den Meeren fingen die ersten Fische zu schwimmen an, an Land tummelten die Tiere des Waldes, der Wüsten, der Berge und der Wiesen. Hoch oben am Himmel ließ sie Vögel fliegen und genoss wieder das Gefühl, wie sich alles ausbreitete und lebte, denn alles war ein Teil von ihr und sie spürte all die Lebendigkeit.

Jahrtausende vergingen, da die Welt zum Leben erwachte und die Eule, die seither auf dem großen Baum saß, sollte eins mit all dem werden, was sie geschaffen. Der Wind beobachtete und in stillem Erstaunen sah er in seinen weiten Reisen über die Länder die Perfektion der Weberin der Schicksale. Es schien nie ein Ende zu nehmen und immer wieder neues hervor zu kommen, so dass er eines Tages leise durch die Äste des großen Baumes säuselte:
„Was du geschaffen, wurde groß und doch noch immer größer. Ich wünschte, es gäbe nie ein Ende, so genieße ich dir zu zusehen.“


„Wir sind ewig, doch leider sonst nichts. Deine Hoffnung trage auch ich in mir, doch wissen wir beide, dass alles ein Ende nimmt so der Tag und die Nacht sich oft genug abgewechselt. Ich werde mein Werk behüten und das Gleichgewicht der Elemente wahren, doch die Bewegung wird in anderer Hände gelegt.“, sprach die Weberin der Schicksale und sollte schweigen für eine Ewigkeit, denn Teile ihres großen Werkes, das Wasser, die Erde, die Luft und das Feuer, waren nicht die einzigen. Die Welt war durchzogen von dem, was die Gelehrten Magie nennen und die Magie hatte ihre eigenen Geschöpfe, die am Ende des Zeitalters des Erwachens durch die Länder zu wandern begannen.

Das Zeitalter der Götter

Die Magie jedoch war launisch, unberechenbar und brachte Dinge hervor, die abseits des Werkes der Schicksalsweberin stehen sollten. So brach das Zeitalter der Götter an, die über die Welt zu wandeln begannen. Geboren an den 4 Ecken der Welt war jeder von ihnen einzigartig und die Vergänglichkeit der Schöpfung haftete ihnen nicht an. Ihre Kräfte waren die Fäden der Magie, welche sie wie Weber spinnen konnten, doch bei all ihrer Macht, wurden sie weder mit Wissen noch mit Erfahrung gesegnet.
Bald bemerkten diese 4 Götter, dass die Völker der Menschen und deren Glaube, ihnen Kraft und Macht verleihen konnte. Doch spürten sie auch noch etwas anderes, denn anfangs kannte ein Gott den anderen zwar nicht, doch im Zeitalter der Götter lernten sie, dass zu viert waren, wenn nicht sogar zu fünft.


Die fünfte Gottheit wurde ein Mysterium, selbst für die anderen vier. Das ‚Seethis’ wurde dieses Mysterium von den Menschen und auch den Göttern genannt. Doch war Seethis kein Gott, sondern es machte den Eindruck, es wäre ein Zustand. Überall war es präsent und spürbar, doch nicht als Gefühl, sondern als leblose, eiskalte und stille Macht, die geheimnisvoll war und doch vollkommene Reinheit zu besitzen schien. Während die 4 Götter die Menschen zu formen begannen und die ersten Streitigkeiten zwischen Licht und Dunkelheit ausbrachen, wurde dem Wind gewahr, dass das Zeitalter der Götter, das Zeitalter in dem sie lernten und beobachteten ein Ende finden würde. Die Götter hatten sich eigene Sphären geschaffen, eigene Wesen auf die Welt geschickt und sich zurückgezogen.

Das Zeitalter der Menschen und die Wege des Schicksals

Und so begann das Zeitalter der Menschen, die Werke der Götter hatten den Menschen Magie und Wissen beschert. Im neuen Zeitalter waren die Menschen diejenigen, die bewegten und die Götter diejenigen, die Kriege führten in der Welt, die einst die Schicksalsweberin geschaffen.


Die Dunkelheit wurde spürbar und versuchte mit tosender Gewalt die Länder heim zu suchen. Zu den Sphären der Anderswelt hatte der Gott des Todes ‚Careonnyn’ einen Pfad erschaffen, eine Pforte, durch die Wesen strömten, die jene Schöpfung beherrschen wollten, die sich ausgebreitet hatte. In Gestalt der Lichtgöttin Avia wartete die Weberin der Schicksale, denn so wie die Elemente ihren Kreislauf behalten mussten, so musste sich auch Licht und Dunkelheit einem Gleichgewicht beugen, damit die Vielfalt der Welt nicht aus den Fugen geraten würde. So zog die Dunkelheit durch die Welt und forderte Blut, Schmerz und Zerstörung in diesen Tagen – das Chaos selbst wanderte durch die Welt und Dämonen priesen es als ihren Herrn. Es waren die Jahre vor den Städten der Menschen, die Jahre in die keine Erinnerung zurückreicht und aus denen keine Mauer noch heute steht, Jahre in denen die Menschen noch heimatlos wanderten, ohne Häuser zu bewohnen und in denen es weder Kaiser noch die Paladine oder furchtlosen Krieger des Nordens gab. 


Nachdem die Schicksalsweberin als die Lichtgöttin Avia lange genug zugesehen hatte, wollte sie den Gang in die Anderswelt für immer verschließen. So wanderte sie durch die Völker und fand einen Mann, der gläubig nach den Gesetzen des Guten lebte und sie sprach: ‚Ich bin Avia und du bist mein Mund, der den Menschen mein Wort verkünden soll.’, woraufhin sich dieser vor der Lichtgöttin auf die Knie warf und weinte, da er seine Familie im Kampfe gegen die Untoten verloren hatte. Avia nahm eine einzelne seiner Tränen und verschwand mit den Worten: ‚Das Feuer der Drachen soll dich leiten, mein höchster Priester’


Der Wind selbst beobachtete das Tun Avias und tat es ihr gleich. Denn er fand eine Frau, die durch die Wüste wanderte und Trauer in sich trug. So schenkte er ihr die Kraft über die Elemente und säuselte ihr die Geheimnisse ins Ohr, um den Wind zu bändigen, nachdem eine ihrer Tränen vom Wind hinfort genommen.
Im Kampf gegen einen Dämonen besah Avia einen Mann, der die Magie beherrschte – auch um ihn lagen die Toten ... seine Liebsten. Sie schenkte ihm die Kraft über die Magie, um zu siegen und nahm auch ihm eine Träne.
Am Baum an dem alles begann begann die Erde zu erzittern, denn eine junge Druidin flehte darum, der Dunkelheit Einhalt gebieten zu können, die durch die Länder toste. Ihre Tränen benetzten die Wurzeln des Baumes, auf denen sie kniete.


Weit im Norden war ein mächtiger Krieger, sein Schiff war auf der Flucht und als seine Tränen beim Gedanken an verlorene Tage flossen, hatte die Schicksalsweberin sie aufgefangen, ehe sie ins Meer tropfen konnten.
Aus den 5 Tränen, wovon die erste für das Feuer stand, die zweite für den Wind, die dritte für die Magie, die vierte für die Erde und die letzte für das Wasser, formte die Schicksalsweberin einen Spiegel – geschaffen aus den 5 Bestandteilen der Welt, mit den mystischen Runen der Bannung versehen und mit dem Glauben und Willen derer zusammengehalten, die diese Tränen ließen. Und so wurde der Spiegel zur Tür in die Anderswelt, auf dass die Dunkelheit für immer im Zaum gehalten werden würde. Das Gleichgewicht sollte durch ihn gewahrt bleiben.

Schlusswort

Lange Zeit ist es her, da dies alles geschah - noch keinen Kaiser gab es, noch keine Stadt und keinen Lean, der Dunkelheit ein zweites Mal zurückschlagen musste. Vor allen Erinnerungen ward der Spiegel geschaffen, ein Siegel, das viele hundert Jahre hielt. Und doch lag ein Schatten über der Welt und deren Bewohner, viele Legenden und Geschichten ranken sich über die Vergangenheit der Völker. Geheimnisse und große Magie, die selbst die Götter nicht alle kennen sollten, durchziehen die Zeiten. Ungewiss ist der Blick in die Zukunft und die Wahrheiten über die Vergangenheit kennt nur der Wind, der wie damals sein Lied spielt ... an den Klippen der Küsten und an den schroffen Berghängen hört man sein Spiel, wie man es hätte schon immer hören können ...